Mann geht
ORTSTERMIN: Beim 30. deutschen Männertreffen ist es sexy, schwach zu sein.
25.05.2012, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 22/2012
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
Ihn wundere, sagt Uwe, dass das Thema nicht mehr junge Leute anziehe. Das Thema Mann. Dabei gebe es viele wichtige Fragen. »Wer bin ich als Mann? Was ist meine Rolle in der Gesellschaft?«
Er geht über den Flur des Jugendgästehauses Duderstadt bei Göttingen, vor seiner Brust baumelt ein Lederlappen, auf dem sein Vorname steht. In weiten Teilen Deutschlands heißen Männer, wenn sie von anderen Männern angesprochen werden, noch »Ey«, »Alter« oder »Digger«. Beim 30. Bundesweiten Männertreffen in Duderstadt heißen sie Uwe, Jean und Georg.
170 Männer sind angereist, Lehrer, Ärzte, Sozialpädagogen, um über die Lage des Mannes zu beraten. Einige Väter haben ihre Kinder mitgebracht. Das erste Männertreffen fand vor 30 Jahren statt, aber die Lage ist seitdem nicht einfacher geworden. Noch immer werden Männer diskriminiert, wenn sie unaufgefordert ihre Gefühle thematisieren. Vor kurzem haben sich Frauen in verschiedenen Zeitungen und Magazinen zu Wort gemeldet, denen der moderne Mann zu weiblich ist, zu problemorientiert. Einige Männer jaulten auf, der Autor Ralf Bönt schrieb ein »Manifest für den Mann«. Das Verhältnis der Geschlechter wurde dadurch nicht weniger kompliziert.
Das Männertreffen soll den Teilnehmern die Möglichkeit geben, sich vom Stress, ein Mann zu sein, etwas zu erholen. Das Organisationsteam wählte dafür das Motto »Wertschätzung erfahren«. Frauen sind nicht erwünscht, außer in der Küche.
Uwe Kaulbars ist Mitglied des Orga-Teams, 57 Jahre alt und Ingenieur in Bonn. Er trägt eine neongrüne Warnweste mit der Aufschrift »30. MT«, MT wie Männertreffen. Die Weste legt er nur zum Essen ab oder wenn er »privat unterwegs sein« will. Aber auch wenn er die Weste nicht anhat, sprechen ihn Teilnehmer an, die den Weg zum Seminarraum nicht finden oder Klopapier brauchen. Einige Männer wirken hilflos, beinahe verloren. Als Uwe hinaus auf die Terrasse tritt, kommt ihm ein Mann entgegen und stöhnt: »Mir ist kalt hier draußen.«
Dabei versucht Uwe seit Tagen, das Jugendgästehaus zu einem Ort umzubauen, der Wärme spendet. Es gibt ein Zelt der Stille, Jodel- und Mal-Workshops sowie Diskussionen zur Frage »Bin ich mit meiner Sexualität zufrieden?« Das Gebäude funktioniert wie eine begehbare Kuschelrock-CD. Gespräche beginnen mit den Worten: »Um an deinen Gedanken von vorhin anzuknüpfen« oder »Ich würde gerne noch einen Schritt früher ansetzen«.
Uwe kommt seit Mitte der achtziger Jahre zu den Männertreffen. Sie entstanden als Pendant zur Frauenbewegung, nachdem sich Männer gemeldet hatten, die das Patriarchat und dessen Hierarchien ähnlich nervig fanden. Die Männer wollten gemeinsam mit den Frauen nach einem Ausweg aus der männerdominierten Gesellschaft suchen, aber im Gegensatz zum Feminismus wurde die Männerbewegung nie so richtig groß. Vielleicht fehlte ein Idol, ein Anführer. Die männliche Alice Schwarzer.
Uwe setzt sich draußen mit einem Stück Käsekuchen zu Georg und Jean.
Männeraktivist Kaulbars (2. v. r.): »Einfach im Kreis stehen« Foto: SVEN DOERING / AGENTUR FOCUS / Der Spiegel
»Hast du Vorbilder?«, fragt Georg.
»Nö«, sagt Uwe.
»Vielleicht die Leute, die ,Ziemlich beste Freunde‘ gemacht haben, den Film aus Frankreich?«, fragt Georg.
Uwe nickt. Ziemlich beste Freunde beschreibt ganz gut, was er vom Männertreffen erwartet. Keine Revolution, kein Manifest, sondern freundlichen Beistand von Leidensgenossen. Starke Männer machen sich auf dem Männertreffen verdächtig. Sie könnten irgendwann zu Patriarchen werden. Schwäche ist besser. Schwach zu sein ist sexy. Uwe sagt: »Es kommt hier vor, dass drei Männer einfach im Kreis stehen und sich umarmen.«
Abends trinken sie das eine oder andere Bier, nicht zu viel. Uwe hat vorab geklärt, dass keine Studentinnen am Zapfhahn stehen, sondern Männer. Frauen stifteten Unruhe, sagt Jean aus Münster. »Ich bin froh, dass ich hier als Mensch bin und nicht immer auf Frauenbrüste gucken muss.«
Das Orga-Team sorgt zudem dafür, dass einmal im Jahr das »Männertreffen Magazin« erscheint, in dem Teilnehmer ihre Erlebnisse schildern. Im aktuellen Heft schreibt Jean über das Treffen im vergangenen Jahr, es habe ihm gutgetan, Menschen zu begegnen, die würdevoll mit ihm umgegangen seien. »Niemand versuchte wie Charles Bronson zu wirken oder den rhetorischen Rambo zu mimen.« Rambo und Charles Bronson sind für die Männerbewegung das, was Pamela Anderson und Gina Wild für den Feminismus waren. Die Antihelden. Jean singt gern das Lied »Ich liebe mich«.
Uwe geht jetzt über die Wiese und bleibt in einigem Abstand vor einem Zelt stehen, das mit einer grünen Plane abgedeckt ist. Die Schwitzhütte. Ein altes Ritual der Sioux-Indianer, sagt Uwe. Die Schwitzhütte ist innen dunkel und wird mit glühenden Steinen beheizt. Drinnen hocken die Männer Schulter an Schulter, nackt. Eine Sitzung kann Stunden dauern, man muss stark sein, um bis zum Schluss durchzuhalten. Ein Mann, der vorher raus will, ruft: Mann geht. »Ein schöner Zugang zur eigenen Spiritualität«, sagt Uwe.
Er guckt hinüber zum Zelt. Die Plane raschelt, dann steht ein nackter Mann auf der Wiese