Starkes Geschlecht ganz schwach
Von Katja Heise
Veröffentlicht am 04.06.2012 Lesedauer: 3 Minuten
Gefühle zeigen beim Göttinger Männertreffen
Wann ist ein Mann ein Mann? Das fragte schon Liedermacher Herbert Grönemeyer in einem Song. Er wusste: „Männer weinen heimlich“. Auch im 21. Jahrhundert, in einer Demokratie, in Zeiten von Alice Schwarzer, Homo-Ehe und Gleichstellungsbeauftragen – ist es für Männer offenbar noch tabu in der Öffentlichkeit oder auch vor der Familie zu weinen. In Zeiten, in denen Frauen Männerdomänen erobern, Bundeskanzler und Soldat werden, ist es mit der Eroberung der weiblichen Eigenschaften offenbar nicht so weit her. Weil Weinen angeblich unmännlich ist. Das finden Männer, aber auch Frauen, wie Studien belegen.
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Doch nicht überall ist das Weinen ein tabu: Es gibt einen Ort, an dem Männer ganz ungeniert in der Öffentlichkeit Gefühle zeigen können – wo Weinen ausdrücklich erlaubt ist: beim sogenannten Männertreffen im Gästehaus in Duderstadt bei Göttingen. Männer allen Alters, verheiratet oder ledig, homo oder hetero, sind willkommen – so steht es in der Einladung im Internet. Auch die eigenen Kinder sind hier ausdrücklich erwünscht, für ihre Betreuung ist gesorgt. Die einzige Bedingung: keine Frauen mitbringen.
Beim jüngsten Männertreffen, das über vier Tage Mitte Mai stattfand, werden sogenannte Befindlichkeitsrunden veranstaltet. Hier kommen Männer in Gruppen zusammen, jeweils einer tritt dann nach vorne und erzählt, wie er sich fühlt oder was ihm gerade nahe geht. „Das kann etwas schönes sein, oft aber ist es traurig und dann ist Weinen hier ausdrücklich erlaubt“, erklärt Mitorganisator der Männertreffen, Uwe Kaulbars. Dem Redner werde dann einfach nur zugehört, kommentiert werde nichts. Und offenbar trifft das einen Nerv: Denn das Männertreffen wiederholte sich jetzt zum 30. Mal, findet alle zwei Jahre wieder statt. 170 Teilnehmer waren dieses Mal dabei – Sozialpädagogen, Lehrer, Ärzte. Neben den Befindlichkeitstreffen gibt es hier außerdem ein Zelt der Stille, Jodel- und Mal-Workshops und auch Diskussionen zu Fragen wie „Bin ich mit meiner Sexualität zufrieden?“.
Uwe Kaulbars ist schon seit den 80er Jahren mit dabei. Der 57-jährige Ingenieur aus Bonn mag die entspannte Stimmung hier. „Ich habe mich schon immer gefragt, warum niemand die Rolle des Mannes als funktionierender, gefühlsarmer Versorger hinterfragt“, sagt er. „Nicht mal die Männer selbst.“ Das ausdrückliche Ziel der Männertreffen ist also: Weichheit zulassen. Das bedeutet nicht, schwach zu sein oder Schwäche zu zeigen, erklärt Kaulbars dann aber. Weichheit sei keine Schwäche, sondern eine Eigenschaft, die Männer in der „Welt da draußen“ nicht zeigen können – weil es nicht von ihnen erwartet wird. Für viele Männer gehe es deshalb darum, hier Kraft zu schöpfen. Das Motto des Treffens heißt „Wertschätzung erfahren“. Ein Gefühl, dass diesen Männern offenbar fehlt. Aber was hat das eigentlich mit den Frauen zu tun – beziehungsweise mit deren Abwesenheit?
„Wenn Frauen dabei wären, würden sich viele Männer gezwungen fühlen die klassische Männerrolle zu erfüllen“, erklärt Kaulbars. Das heißt, sie wären gehemmt Gefühle, Empathie, Fürsorglichkeit – eben Weichheit zuzulassen. Und dennoch, ergänzt Kaulbars, wollen er und die anderen Männer nicht frauenfeindlich sein. In der Geschichte der Männertreffen habe es solche Strömungen zwar durchaus gegeben, aber sie haben sich nicht durchgesetzt. Uwe Kaulbars und seine Männer wollen keine Bewegung sein, geschweige denn eine Revolution. Dennoch ist es ihnen wichtig ihre Ziele und Ansichten zu verbreiten.
Daher haben sie vor dem Männertreffen Zeitungen, Radiosender und das Fernsehen angeschrieben. Manche Medien wollten daraufhin mehr Informationen haben, erzählt Kaulbars – haben dann aber schnell wieder das Interesse verloren und letztendlich doch nicht berichtet. „Die allermeisten haben auf meine Anfrage aber gar nicht erst reagiert.“